Die Schule in der Nachkriegszeit

Wie geht der Weg weiter in den schwierigen Jahren des Wiederaufbaus? Die Schule bleibt weiterhin eine der größten des Regierungsbezirks. Als die „Staatliche Oberschule für Jungen“ am 1. April 1954 wieder in städtische Trägerschaft übergeht und nun „Städtische Oberschule für Jungen“ heißt, setzt eine lebhafte Debatte um die Namensgebung der Schuleein, die an der Ecke Lotter Straße/Arndtstraße lag. Diese Diskussion läßt den Blick erneut zurückschweifen auf die Anfänge der Schule im Zuge der deutschen Einigungskriege. Ernst Moritz Arndt – kein Wunder, daß sich an ihm die Geister scheiden; erst recht protestiert ein Jahrzehnt später die Generation der 68er Studentenbewegung, die natürlich auch die Schulen erfaßt. Der Widerstand ist mit Blick auf manche Äußerung Arndts, nicht zuletzt über die Juden, verständlich. Andererseits ist gerade sein Name eng mit den Befreiungskriegen verknüpft und der Dichter lebenslang ein tief gläubiger Christ geblieben. Eines seiner zahlreichen Kirchenlieder wurde im Schulgottesdienst zum 120jährigen Jubiläum gesungen:

„Ich weiß, woran ich glaube,
ich weiß, was fest besteht;
wenn alles hier im Staube
wie Sand und Staub verweht;
ich weiß, was ewig bleibet,
wo alles wankt und fällt,
wo Wahn die Weisen treibet
und Trug die Klugen prellt.“

Arndt dichtete das Lied 1819, wohl als er seinen Lehrstuhl in Bonn wegen seiner nationalen Gesinnung verlor. Liest man diese Zeilen und viele andere aus seiner Feder, dann wird vielleicht begreiflich, warum das nach wie vor evangelisch geprägte Kollegium jener Jahre dieser Namensgebung zustimmte. Waren es doch Jahre, die nach der zurückliegenden Diktatur erneut nach christlichen Grundwerten suchen ließen. Jahre, in denen zudem die Teilung Deutschlands vielen bitter auf der Seele lag.

Und wie stark Mitte der 50er Jahre das Erlebnis des Krieges noch nachwirkt, das belegt zum Beispiel eines der Jahreshefte „Vereinigung Alter Realgymnasiasten“ aus dem Jahre 1955, in dem auf der letzten Seite die Kameraden aufgefordert werden, an das kommende Ehrenmal für die Gefallenen zu denken und dafür zu spenden.

Was die folgenden Jahre angeht, so verbietet sich vom Umfang her eine so detaillierte Betrachtung wie bisher. Erlaubt sei jedoch noch ein Blick auf die Mitte der 70er Jahre und den damals gefaßten Ratsbeschluß, die Schule aus dem traditionellen Gebäude an der Lotter Straße in den Nordosten der Stadt an die Knollstraße zu verlegen. Diese Entscheidung muß zunächst im Zusammenhang mit dem Anfang der 70er Jahre erstellten Schulentwicklungsplan und dessen verschiedenen Fortschreibungen gesehen werden; sodann mit der geplanten Einführung der Orientierungsstufe in der Stadt Osnabrück sowie mit der spätestens 1976 umzusetzenden Oberstufenreform. Die Begriffe „Schulzentrum“, „Ganztagsschule“, „Gesamtschule“ gehen um und sorgen nicht anders als heute für die Erregung der Gemüter. Liest man die Schulausschußprotokolle jener Zeit oder diverse Verwaltungsvorlagen zu den anstehenden Neuerungen beziehungsweise Reformen, so will einem manches geradezu aberwitzig erscheinen, jedenfalls vor dem Hintergrund gewachsener historischer Gymnasien in einer Stadt wie Osnabrück, die sich bis heute in vielen Bereichen eine Orientierung am Althergebrachten bewahrt hat. Die Reformeuphorie hat manchen Gedanken geboren, der dann rasch wieder fallengelassen wird, etwa den Gedanken, die Oberstufen des Rats- und des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums an die Natruper Straße zu verlegen, ein anderes Mal an das Carolinum. Auch sorgen im Zusammenhang mit allen Reformvorhaben die Pläne des Bischöflichen Stuhls für Bewegung in der öffentlichen Diskussion, es werden zwei Schulzentren in kirchlicher Trägerschaft, in Haste und am Dom, ausgebaut. Von einer Verlagerung des EMA als Ganzes an die Knollstraße ist in den städtischen Ausschußprotokollen erst ab Anfang 1976 zu lesen. Mündlichen Berichten zufolge ist zuvor auch einmal der Gedanke einer Verlagerung in den Stadtteil Wüste ventiliert worden, aber am hartnäckigen Widerstand des Schulleiters Kähler gescheitert.

Als in der Schulausschußsitzung am 18. Februar 1976 die Verwaltung der Stadt im Zusammenhang mit anderen Fragen erstmalig „als Denkmodell“ die Verlagerung des EMA an den neu entstehenden Standort Sebastopol anspricht, ist die Lage anders. Die Schule ist zu diesem Zeitpunkt ohne Leiter. Der neue Kultusdezernent, Siegfried Hummel, voller neuer Ideen und Elan, nimmt erstmalig an einer Schulausschußsitzung teil. Er hat zu berücksichtigen, daß Anfang 1976 eine CDU/FDP-Mehrheit in Hannover zum Regierungswechsel im Lande Niedersachsen geführt hat. Der neue Kultusminister Werner Remmers, ebenfalls voller neuer Ideen und Elan, wird 1977 zum Schulleiter einen katholischen Sozialdemokraten als Nachfolger Kählers berufen.

Wer in Osnabrück zuerst den Gedanken der Verlagerung hinter den Kulissen äußerte, ist nicht genau auszumachen. Fest steht, daß aus dem so bezeichneten „Denkmodell“ bereits in der Sitzung des Rates am 30. April 1976 ein fester Tagesordnungspunkt geworden ist. Unter Tagesordnungspunkt 8 heißt es: „Verlegung des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums“. Auch die Baupläne für den Standort Sebastopol werden nun vorverlegt, weil die Schule, wie Eltern, Schüler und Lehrer beschlossen haben, einer stufenweisen Verlagerung keinesfalls zustimmen würden. Die Verwaltung untermauert ihren Vorschlag durch eine Reihe von Vorteilen, die die Verlagerung mit sich brächte, und durch Warnungen mit Blick auf die Entwicklung der Schülerzahlen. Merkwürdig ist allerdings zweierlei. Für das Schulzentrum Eversburg wird am 19. März 1976 eine Außenstelle des Ratsgymnasiums vorgeschlagen. Für das Schulzentrum Sebastopol in ähnlicher Weise eine Außenstelle des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums einzurichten, kommt offenbar niemandem in den Sinn. Da seit Anfang der 7Oer Jahre – wie erwähnt – mehrere abenteuerliche Modelle für ein Oberstufenzentrum in der Innenstadt ausgebrütet worden waren, befriedigt der Hinweis auf die Entwicklung der Schülerzahlen allein keineswegs. Jeder mag sich ein eigenes Urteil bilden! Andererseits finden sich auch Widersprüche in der Argumentation der Verwaltung. Sorgen der Gesamtschule Schinkel, daß die relative Nähe des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums an der Knollstraße den dortigen Aufbau der reformierten Oberstufe gefährden könne, wird mit dem Argument begegnet, daß vielmehr eher dann eine Gefährdung für den Schinkel eintrete, „wenn das EMA in der günstigen Verkehrslage in der Stadtmitte verbleibe“ In der gleichen Sitzung heißt es jedoch auch, daß „ohne Veränderung des jetzigen Standorts für das E.M.A.-Gymnasium damit zu rechnen ist, daß in 6-7 Jahren diese Schule an diesem Standort nicht mehr lebensfähig ist“. Diese Auffassung wird auch gegenüber Elternschaft und Kollegium wiederholt seitens der Verwaltung vertreten. Ältere Kollegen versichern, daß außerdem die Verlegung „schmackhaft“ gemacht worden sei mit dem Hinweis darauf, dem Verkehrslärm an der Lotter Straße zu entkommen, auch der Enge des dortigen Schulgeländes, und die Aussicht auf ein modernes Gebäude zu haben. Gewiß einleuchtende Argumente!

Dennoch bleibt bis heute die Frage, wie es möglich war,daß dieses Traditionsgymnasium ohne nennenswerten Protest aus den Reihen des Rates seines angestammten Sitzes beraubt wurde, handelt es sich doch um eine Schule, die einmal mit großem Einsatz des Magistrats der Stadt gegründet worden war. Das Bild ihres Gründers, Johannes Miquel, hängt an herausragender Stelle gegenüber der Tür zum Rats-Sitzungssaal. Hat sich kein Ratsmitglied damals beim Anblick des Bildes gefragt, was dieser hoch geachtete Bürgermeister der Stadt wohl zu dem Vorhaben der Verlagerung gesagt hätte? Wie soll man zum Beispiel das Phänomen erklären, daß in den Ausschußvorlagen das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium längere Zeit gar nicht auftaucht, sondern meist nur vom „Schulzentrum Sebastopol“ die Rede ist? Ganz im Gegensatz übrigens zu allen anderen Schulzentren in der Stadt.

Nun, glücklicherweise hat sich bald nach Bekanntwerden der Verlagerungspläne der Förderverein der Schule gegründet, dessen über 400 Mitglieder sehr wohl daran interessiert sind, die alte Tradition wachzuhalten und die Schule zu unterstützen, in welcher Weise auch immer. Und daß die Schule lebt, wenn auch nicht mehr im angestammten Gebäude an der Lotter Straße, das wird nicht zuletzt das anstehende Jubiläum beweisen. Es sei deshalb ohne alle Überheblichkeit zum Schluß eine Äußerung des Landessuperintendenten für den Sprengel Osnabrück Dr. Gottfried Sprondel, wiedergegeben, die dieser in der Aula des Schlosses am 24. Oktober 1986 im Rahmen des Vertrags „Der Friedensauftrag der Christen“ vorbrachte: „Eine Symbolfigur [gemeint sind die Befreiungskriege und die Hoffnung auf ein starkes und geeintes Vaterland] ist etwa Ernst Moritz Arndt gewesen, dessen Andenken die Stadt Osnabrück im Namen einer ihrer besten Schulen bis heute ehrt.“

So steht am Ende dieses historischen Rückblicks auf den jeweiligen Zeitgeist der Wunsch, daß das Kollegium den Geist des Gründers der Schule weiterhin pflegen möge, trotz aller Schwierigkeiten, die Veränderungen in der Zusammensetzung der Schülerschaft naturgemäß mit sich bringen. Vergessen wir dabei nicht, daß für diese Schüler das Miteinander, sei es mit Ausländern aus der ganzen Welt, sei es mit Aussiedlern aus östlichen Ländern, eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Und vergessen wir auch nicht, daß das Einvernehmen zwischen Lehrern und Schülern eine Grundvoraussetzung ist, um diesen Geist der Aufgeschlossenheit, Liberalität und Toleranz weiterhin zu pflegen, den bereits die Schüler der ersten Stunde deutlich empfunden haben, unter ihnen Albert Brickwedde, Abiturient des Jahres 1871. Er schreibt in seinen Erinnerungen über die Jahre an der neu gegründeten Realschule unter anderem:

„Auch mit den übrigen Lehrern der Schule […] machten wir häufig Fahrten, und gehören diese nach meiner Ansicht zu den besten und schönsten Mitteln, ein gutes Einvernehmen zwischen Lehrern und Schüler, wie es ja an anderen Anstalten gar nicht mal denkbar ist, herbeizuführen […] Auf der Realschule erziehen die Lehrer die Schüler, und nicht nur in pleno, sondern auch solo und sehr mit Unterschied, mit Rücksicht auf alle in Betracht kommenden Verhältnisse.“

Möge es so bleiben!

Karin Jabs

125 Jahre Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Versuch einer Standortbestimmung aus historischer Sicht (ein Artikel aus der Festschrift zum 125-Jahr-Jubiläum 1992)

Der vollständige Aufsatz liegt hier als PDF-Dokument vor.

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