1. Jubiläumsfeiern
  2. 1937: 70-Jahr-Feier

1937: 70-Jahr-Feier

1937 feierte die Schule ihren 70. Geburtstag. Zu diesem Zeitpunkt ist das Bildungswesen längst “gleichgeschaltet”, und es wird nach den Vorgaben des Rassenirrsinns der nationalsozialistischen Ideologie unterrichtet. In den Klassen sitzen Schüler in HJ-Uniformen, und alle jüdischen Schüler (im Schuljahr 1931/32 waren es fünf) sind längst aus der Schulgemeinschaft ausgeschlossen.
Über die Lehrer berichtete der ehemalige Schüler Heinz Aulfes, “dass ungefähr ein halbes Dutzend Demokraten wohl so unpolitisch gewesen sei wie es irgend ging, ein Dutzend seien bekennende Nationalsozialisten gewesen, und wohl die Mehrheit Parteimitglieder.”  Der Schulleiter Oberstudiendirektor Dr. Wendland und seine Frau wurden seit 1935 vom “SD” (“Sicherheitsdienst“) geheimpolizeilich überwacht.
Wendland, 1937 schon krank – zum 1. Oktober 1939 musste er ausgesundheitlichen Gründen in den Ruhestand treten – , ließ es sich nicht nehmen, zu den im Hotel Dütting*, Domhof 9 zusammengekommenen Ehemaligen zu sprechen.
Alle Redner verweisen auf den Ersten Weltkrieg und betonen, dass nun – nach der Machtübertragung an Hitler und der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur – eine “große Zeit” bevorstehe und die Schule hier mitzuwirken habe. Dabei beschwören sie immer wieder den Geist der Kameradschaft. Makaber wird es, wenn man der im Ersten Weltkrieg 1914-1918 gefallenen Lehrer und Schüler gedenkt und diese nun als Bürger des “Dritten Reiches” vereinnahmt.

* Das Haus wurde bei dem Luftangriff vom 20. Juni 1942 zerstört.

Es folgt eine Transkription des Berichts über die Jubiläumsfeiern im Oktober 1937 aus dem “Mitteilungsblatt der Staatlichen Oberschule für Jungen (früher Realgymnasium) zu Osnabrück und der Vereinigung ehem. Schüler”, Nr. 2, Dezember 1938, S. 4-7.

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70-Jahr-Feier des Staatl. Reformrealgymnasiums.

 

Am 30. und 31. Oktober 1937 beging das Staatl. Reformrealgymnasium mit Oberschule das Fest seines 70jährigen Bestehens. Von fern und nah waren die ehemaligen Schüler und Lehrer herbeigeeilt* , um an diesen Tagen des Wiedersehens und der Freude teilzunehmen, und sie alle werden von Osnabrück geschieden sein, in dem Bewusstsein, dass der alte Geist an der jungen Schule lebt.
Eingeleitet wurden die Festlichkeiten am Sonnabendnachmittag mit der Eröffnung einer Zeichenausstellung* in der Schule, der abends die

Wiedersehensfeier der ehemaligen Schüler

folgte. Dr Saal des Hotels Dütting konnte die große Zah der Erschienenen kaum fassen. Dicht gedrängt saßen sie an den Tischen, die alten und jungen ehemalligen Schüler und Lehrer, in herzlicher Freude, sich wiederzusehen, Erinnerungen austauschen zu können, Stunden im vertrauten Kreise verleben zu können.
Der Vorsitzende der Vereinigung der ehem. Schüler, Dr. Keller*, begrüßte in herzlichen Worten die so zahlreich Erschienenen. Er erinnerte an as 50jährige Jubiläum im Jahre 1917, als der Weltkrieg tobte und Schüler und Lehrer zum größten Teil im Schützengraben lagen, an das 60jährige im Jahre 1927, wo Zerrissenheit und Parteienhader nicht gerade zu großen Feiern ermutigt hätten. Heute, im Jahre 1937, habe uns der Nationalsozialimus die Erfüllung des deutschen Lebenswillens gebracht. Deshalb gebe uns der Abschluß dieses bedeutungsvollen siebten Jahrzehnts im Leben der Schule eine glückliche Gelegenheit, in Stolz und Würde diesen Tag zu feiern. In diesem Sinne heiße er im Namen der ehemaligen Schüler alle Erschienenen herzlich willkommen. Der Redner begrüßte besonders den Leiter der Anstalt, Oberstudiendirektor Dr. Wendland, den Alterspräsidenten Professor Dr. Fricke, der schon 1872 sein Abiturexamen gemacht habe, Schulrat Dr. Wellhausen und die vielen anderen ehemaligen Schüler und Lehrer. Man wolle von der Vergangeneit plaudern und wieder jung werden mit denen, die sie mit uns erlebten, und mit ihnen sprechen über das, was sie inzwischen durchgemacht und geleistet hätten, gegenwärtig tun und in Zukunft machen würden. Kurzum, man wolle wieder das Geheimnis der Kameradschaft kennenlernen und vermitteln. Der Redner verlas dann eine große Anzahl von Glückwunschtelegrammen und -briefen, die aus allen Teilen Deutschlands zu diesem Tage eingetroffen waren, ja, sogar ein Gruß aus Hongkong von einem ehemaligen Schüler fehlte nicht. Dann fuhr Dr. Keller fort: Sie haben soeben gehört, wie groß die Liebe zur alten Schule und das Interesse an unserer Vereinigung ist. Das verpflichtet! Das ruft uns auf, weiterzuarbeiten in diesem Sinne und eine Vereinigung ehemaliger Schüler aufzubauen, die der Größe und Tradition unserer Anstalt entspricht. Ich glaube, daß das ein Ziel ist, das den Einsatz lohnt und der Unterstützung von uns allen wert ist, weil es für uns alle ist und für uns spricht. Das nehmen Sie bitte mit auf den Weg. Ich glaube, es ist das schönste Geschenk, das wir unserer Schule in fünf Jahren machen können: eine geschlossen in der Vereinigung stehende ehemalige Schülerschaft, die die Verbindung mit der Schule erhält und pflegt und untereinander lebendige Kameradschaft vermittelt. Zum Schluß gedachte der Redner der alten, lieben Schule, auf die dann nach alter Sitte ein Salamander gerieben wurde.
Oberstudiendirektor Dr. Wendland dankte für die Willkommensgrüße. Trotz seiner Krankheit sei es ihm ein Bedürfnis gewesen, an diesem Abend mi seinen alten Schülern und denen, die noch immer treu zur Schule halten, einige Stunden zusammen zu sein. Es sei ihm eine große Freude, daß so viele alte Lehrer und Schüler zu diesem Geburtstag der Anstalt erschienen seien und daß so viele, die nicht persönlich hätten kommen können, der Schule in herzlichen Grüßen gedacht hätten. Dr. Wendland ging in seinen weiteren Ausführungen auf die Geschichte der Schule ein und schilderte die vielfachen äußeren Wandlungen, die sie durchgemacht habe. Heute sei es wieder so, daß kein Platz mehr vorhanden sei, daß die Räume bis unters Dach restlos ausgenutzt seien, aber er habe die Hoffnung, daß bald eine Lösung gefunden werde, die der Größe der Anstalt und der Größe der Stadt entspreche. Weiter streifte Dr. Wendland dem Aufbau der Anstalt die in den Grundzügen immer das geblieben sei, was sie gewesen sei. Die Ausbildung sei immer gut gewesen, und es sei erfreulich, daß jetzt auch andere Anstalten nach diesem Vorbild umgewandelt würden. Auch der Geist der Lehrer- und Schülerschaft sei derselbe geblieben. Zum Schluß dankte er den Lehrern und Schülern, die Träger des Geistes seien, der auf der Schule herrsche, und gedachte des Führers und Reichskanzlers, auf den ein dreifaches Sieg-Heil ausgebracht wurde.
Schulrat Dr. Wellhausen dankte im Namen der alten Schüler für den schönen Abend. Er wies darauf hin, daß das Beste an jeder Schule der Geist des Vertrauens sei, der zwischen Lehrer und Schüler herrsche. Und dieser Geist habe immer an der Schule geherrscht. Und daß dieser Geist auch weiterbestehe, davon habe er schon manches schöne Beispiel sehen können. Nachdem Dr. Wellhausen noch in launigen Worten kleine Erlebnisse aus seiner Schülerzeit zum Besten gegeben hatte, gab er dem Wunsche Ausdruck, daß dieser Geist des Vertrauens auch weiter bestehen bleiben möge. Sein Dank für die Pflege dieses Geistes galt dem Lehrerkollegium.
Die Tage der Feier des 70jährigen Bestehens des Staatlichen Reformrealgymnasiums durften nicht vorübergehen, ohne daß die toten Helden des Weltkriegs und die anderen verewigten Lehrer und Schüler in einer würdigen Gedenkstunde geehrt wurden. Angesichts der holzgeschnitzten Ehrentafel mit den mehr als 200 Namen der Gefallenen fand diese Heldenehrung am Sonntagmorgen in der schön geschmückten Aula der Schule an der Lotter Straße statt.
Nach einem weihevollen Orgelspiel trat der Leiter der Schule, Oberstudiendirektor Dr. Wendland, ans Rednerpult. Eine solche Stunde des Zusammentreffens der alten Schüler und Lehrer müsse auch Gelegenheit sein, der Toten zu gedenken, die aus dieser Schule hervorgegangen seien. Ueber (sic) zweihundert Namen von Schülern und Lehrern seien auf der Ehrentafel in dieser Aula verewigt. Der Arbeit des Kollegen Kühn sei es zu danken, daß die Bilder der Gefallenen gesammelt wurden, um so ihre äußere Erscheinung uns zu überliefern. Aber in Jahren werden nur noch wenige unter uns sein, die jene Männer noch lebend gekannt haben. Das ist das Schicksal von uns allen. Namen verklingen. Aber ob wir den einzelnen kennen oder nicht, jeder Name auf der Gedenktafel spricht zu uns. Jeder war einer Mutter lieber Sohn, jeder eines Vaters Stolz und Hoffnung. An jeden knüpft sich ein Meer von Tränen, eine Wunde, die niemals aufhören will zu bluten. Sie alle haben eine Fülle von Lebensmut, von Tatkraft und Lebensglück geopfert für uns. Wenn wir ihre Namen lesen, steigt die große Zeit von 1914 wieder auf. In dankbarer Ergriffenheit beugen wir uns vor ihnen, die ihr alles hingegeben haben. Wir beugen uns auch vor dem schlichten Heldenmut der Heimat, der Mütter, Frauen, Schwestern und Töchter, die ihr Bestes gegeben haben. Doch eine Erinnerung ist dazu da, eine Mahnung zu sein, unsere Jugend zu stählen, damit gesunde, reine Männer heranwachsen. Unsere Aufgabe ist es, unsere Jugend auch geistig zu stählen und zu erziehen, durch sie zu ersetzen, was an Geisteskraft durch die Toten verlorengegangen ist. Und dieser Geist ist dienstbar zu machen im Kampf unsers Vaterlandes. Wir sind stolz auf den Opfermut und die Vaterlandsliebe, die unsere Schüler bewiesen haben. Schwer war es nach dem Kriege, die sittlichen Kräfte zu ersetzen. Nach 1933 aber ist es unsere Pflicht, die Jugend im neuen Deutschland heranzuziehen zur willigen Unterordnung unter die Forderungen des Staates und des Volkes, zum Verantwortungsgefühl und zur Opferbereitschaft und zum Zusammenstehen. Es lohnt sich heute für Deutschland zu leben. Wenn wir so unsere Kinder und Schüler erziehen, dann werden unsere Toten niemals vergessen sein. Dann werden sie in uns, mit uns und nach uns leben. Sie werden durch die Geschlechter fortleben. Dann gedachte der Redner der anderen Lehrer und Schüler, die gleichfalls nicht mehr unter uns weilen, deren Gedenken aber ebenso in Ehren gehalten werden soll. Wir setzen ihr Werk fort für unsere Nachkommen. So bilden wir den großen Zusammenhang von der Vergangenheit übe die Gegenwart in die Zukunft hinein. Mit Ehrfurcht und Dank gedenken wir ihrer Pflichttreue und Vaterlandsliebe. Dabei erwähnte der Redner, daß heute die Gräber der alten Lehrer auf den Friedhöfen würdig geschmückt werden sollen. Ueber (sic) das Grab hinweg reichen wir jenen die Hand und danken ihnen für das, was sie getan haben. So sind sie mit uns Bürger des Dritten Reiches geworden.
Dem Gedächtnis der toten Lehrer und Schüler wurde sodann eine stille Minute gewidmet.
Dr. Rögge grüßte in seiner anschließenden Ansprache die Toten des Weltkrieges. Als sie zu den Fahnen eilten, da waren sie erfüllt von dem, was unsere Lehrer in sie in eingepflanzt hatten. Das Heldische war es, wie es allezeit in der Jugend gepflegt werden muß, denn dieser Gedanke des Heldischen erzieht zur Vaterlandsliebe und Pflichterfüllung. So konnten die jungen Regimenter vor Langemarck mit dem Deutschlandliede auf den Lippen in den Kampf gehen. Sie, die nicht wiederkehrten, haben nicht die Schmach und Schande nach Kriegsende erlebt. Aber dann traten Jahre des äußeren und inneren Wandels in. Es kam die Zeit, wo man wieder stolz auf unsere Gefallenen war. Man besann sich auf die Opfer, die sie für uns gebracht hatten, und der Same, den sie gesät hatten, begann aufzugehen. Aus ihren Gräbern stieg der Geist der Kameradschaft empor, der es unserm Führer ermöglichte, Deutschland wieder zu einer Volksgemeinschaft zu einen und aus der Tiefe emporzuführen.
Im Auftrage des Vereins der ehemaligen Schüler und Lehrer legte Dr. Rögge einen schleifengeschmückten Kranz an der Gedenktafel in der Aula nieder. Die Anwesenden erhoben sich zum deutschen Gruß, und die Orgel spielte leise das Lied vom guten Kameraden. Mit einem weiteren Orgelvortrag ging die stimmungsvolle Gedenkstunde zu Ende.
Zu gleicher Zeit wurden an den noch bekannten Gräbern ehemaliger Lehrer und Schüler Kränze zum Gedenken niedergelegt.
Der Rest des Tages war wieder der Unterhaltung und Wiedersehensfreude gewidmet. Am Nachmittag fand in den Sälen des Harmonieklubs ein gemütliches Beisammensein zwischen Lehrern, Eltern und Schülern statt, dem sich abends in denselben Sälen ein Wiedersehensfest anschloß, das die Schüler durch turnerische und musikalische Vorträge verschönten. Auch hier herrschte ungetrübter Frohsinn und echter Kameradschaftsgeist, wurden alte Freundschaften erneuert und neue geschlossen.
So nahm auch das Fest des 70jährigen Bestehens des Osnabrücker Realgymnasiums einen schönen Verlauf, und alle, die daran teilgenommen haben, werden sich gefreut haben, dem Rufe der Vereinigung ehemaliger Schüler und der Anstaltsleitung gefolgt zu sein. Sie werden sich gern der Stunden erinnern, die sie zusammen mit den alten Lehrern und Schülern verleben konnten. Es waren Stunden schönster Harmonie und herzlicher Freude. Und sie alle, die von fern und nah nach hier gekommen waren, schieden mit dem Versprechen, in fünf Jahren wieder zur Stelle zu sein, wenn die Schule ihr 75jähriges Bestehen feierlich begeht.

*im Original gesperrt gedruckt

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